Eröffnungsrede zur Ausstellungseröffnung

14.März 2003

Thomas Bühler "Lebensräume"

von

Barbara Willert


Thomas Bühler gibt in seiner Malerei und Grafik seine Sicht des Menschen und der Wirklichkeit wider.

Konsequent hält er dabei an der Gegenstandswelt fest und verzichtet auf ein formfreies, abstraktes Vokabular. Keineswegs jedoch beschränkt er sich auf die bloße Mimesis des Sichtbaren. Vielmehr verweigert sich Thomas Bühler einem ausschließlich der Ratio verpflichteten Weltverständnis und vermischt Traum und Realität.

Inspiriert von seiner jeweiligen Lebenswirklichkeit und damit verknüpften emotionalen Zuständen schildert der Künstler Visionen und zeigt das Rätselhafte auf. Und immer wieder spiegeln sich in Thomas Bühlers Arbeiten persönliche Erfahrungen mit unterschiedlichen Lebensräumen wider.

Eindrücke der sich stetig wandelnden Großstadt Berlin, wohin der aus der Osnabrücker Gegend stammende Künstler 1988 übersiedelte und seitdem im Atelierhaus des Bundesverbands Bildender Künstler am Checkpoint Charlie lebt, haben in seinem Werk ebenso ihre Spuren hinterlassen wie Naturerfahrungen, die er in den letzten Jahren vor allem während längerer Arbeitsaufenthalte in Sachsen sammeln konnte.

Thomas Bühlers wichtigstes Bildmotiv ist die menschliche Gestalt. Er bildet den Menschen jedoch nicht portraihaft in seiner individuellen physischen Wirklichkeit ab, sondern gibt ihn als archetypisches, oft grotesk deformiertes oder fantastisch chimärenhaftes Wesen wider.

Häufig konzentriert sich der Künstler ganz auf die Einzelfigur; vielfigurige Kompositionen sind eher die Ausnahme. Immer aber rückt er seine Figuren und Handlungen stark in den Bildvordergrund, so dass die Gestalten in die Welt des Betrachters einzubrechen scheinen.

Im Gegensatz zu seinen Gemälden und Gouachen verzichtet Thomas Bühler in den meisten der hier gezeigten Tuschezeichnungen auf die Darstellung des Umraums. Raum und Raumtiefe werden - wenn überhaupt - nur mit wenigen Linien angedeutet, so dass die dargestellten Figuren beinahe schwerelos im Bildraum zu schweben scheinen.

Die mit Feder, Pinsel oder Tuschestift angefertigten Zeichnungen zeigen koboldhafte Menschen mit übergroßen Köpfen und Händen, sie zeigen Mischwesen aus Mensch und Tier oder aus Mensch und Pflanzenwelt.

Thomas Bühler, der nach einer Lehre als Schildermaler in Osnabrück und Münster Grafik und Design studierte, führt seine Zeichnungen mit größter handwerklicher Perfektion aus. Körper, Gesichter, Bäume und Felsen sind stets vollplastisch modelliert und im Detail realistisch ausgearbeitet. Harte hell Dunkel-Kontraste sind dabei eher selten.

Zumeist dominieren subtile Nuancierungen und eine extrem feinsinnige Schraffur, deren mal mehr, mal weniger ruhige oder aber nervöse Strichführung durchaus Rückschlüsse auf die emotionale Befindlichkeit des Künstlers während der Schaffensphase zulässt. Eine zarte Farbigkeit und malerische Effekte bestimmen zusätzlich die lavierten und gezielt weiß gehöhten Blätter.

Vor allem in den Zeichnungen, die in den letzten Jahren unter dem Eindruck der unwirklich anmutenden Natur der sächsischen Schweiz entstanden sind, thematisiert Thomas Bühler immer wieder die Verschmelzung von menschlicher Form und Natur.

Alten Mythen wird hier Gestalt verliehen: Aus mächtigen Baumstämmen erwachsen menschenähnliche Geisterwesen, in knorrigem Wurzelwerk und in Felsformationen werden gnomenhafte Physiognomien lesbar. Faune, Feen, Waldgrazien und Baumgeister bevölkern die Blätter und verweisen auf pantheistische Vorstellungen einer beseelten Natur.

Thomas Bühlers fantastische Bildwelten basieren dabei nicht auf akribisch vorgefassten Bildvorstellungen, es gehen ihnen auch keine Vorzeichnungen voraus. Vielmehr entwickeln sie sich unter dem Eindruck des jeweiligen Lebensraums fast automatisch während des Schaffensprozesses. Dahingehend und in seiner Darstellung von Überwirklichem und Traumhaftem steht der Künstler dem Surrealismus nahe, wobei es freilich surrealistische Elemente in der Kunst schon immer gegeben hat, angefangen mit den fantastischen Fabelwesen eines Hieronymus Bosch im Spätmittelalter, über die manieristischen Pflanzengesichter eines Arcimboldo, über Grafiken und Gemälde von Goya bis hin etwa zu den naturmythologischen Szenen eines Arnold Böcklin im ausgehenden 19. Jahrhundert.

In krassem Gegensatz zur mystischen Atmosphäre und der oft heiteren Unbeschwertheit von Thomas Bühlers gezeichneten Naturszenen steht eine Serie großformatiger Gouachen. Sie ist bereits 1988 entstanden, unmittelbar nach der Übersiedelung des Künstlers nach Berlin. Thomas Bühler thematisiert hier den Menschen im Lebensraum Großstadt.


Die nach der physischen Haltung der Dargestellten als Hockender, Himmelsstürmer und Liegender betitelten Arbeiten zeigen den Menschen in seiner nackten Fleischlichkeit vor bedrohlich düsteren Stadtkulissen.

Alles ist hier bewegt: Fluchtende Raumdiagonalen, virtuos gestaffelte Architekturen und weite Fensterausblicke schaffen Raumtiefe und Dynamik. Die Figuren selbst lösen sich rhythmisch auf, und auch die scharfkantigen Stadtarchitekturen im Hintergrund scheinen ins Wanken geraten zu sein. Hier spiegelt sich Thomas Bühlers aufgewühlte Lebenssituation nach dem Umzug vom überschaubaren Osnabrück in die reizüberflutete Großstadt wider. Zugleich wird hier der Umbruchstimmung im pulsierenden Berlin der späten 80er Jahre gestalterisch Ausdruck verliehen.

Der nervösen Pinselführung und der Tendenz zur Formauflösung stehen in Thomas Bühlers Gemälden ein verfestigter Bildaufbau und präzis umrissene Formen gegenüber. Die mit Tempera und Öl in aufwendiger, altmeisterlicher Lasurtechnik angefertigten Gemälde erzählen in realistischer Malweise von menschlichem Fehlverhalten und dem ewigen Spiel mit dem Sein und Schein. Thomas Bühler greift hier das alte Thema des Welttheaters auf: Er malt nicht Individuen, sondern mit allerlei Symbolen verbrämte Allegorien menschlicher Wesenszüge, er malt Gaukler und altbekannte Typen wie die Figur des Königs, den er sinnbildhaft in zeitloser Nacktheit gibt.

In denkbar krassem Gegensatz zum schwachen, alternden Körper des Königs, steht seine schwere, prunkvolle Krone, das Symbol seiner Macht. Und fast scheint es, als würde der kleine, traurige König unter dem Gewicht der übermächtigen Krone zusammenbrechen, vielleicht auch unter der Last des ihm auferlegten Amtes.

In dem Gemälde Vorhang auf führt uns Thomas Bühler in die Welt der Maskerade. Hier greift er ein künstlerisch vielfach bearbeitetes Thema auf, das nicht zuletzt aber in seiner großen persönlichen Faszination von dem Puppentheater wurzelt. Starre, ausdruckslose Gesichtsmasken verbergen in dem Gemälde das wahre Ich der Akteure. Die Figuren bleiben geheimnisvoll anonym. Sie spielen ihre Rollen, ohne dabei die eigene Identität preiszugeben. Eine nächtliche Reihenhaussiedlung, wie man sie allerorts aus vorstädtischen Wohngegenden kennt, bildet in dem Gemälde ein befremdlich, ja skurril anmutendes Bühnenbild, und doch ist auch darin ein Lebensraum abgebildet, den Thomas Bühler aus dem provinziellen Osnabrücker Umland seiner Jugend kennt.

Die mit surrealistischen Elementen versetzte realistische Darstellungsweise der Gemälde des Künstlers mag manch einen an Rudolf Hausner und die Wiener Schule des Fantastischen Realismus erinnern. In der verschlüsselten Bildsprache ist gleichfalls eine Affinität zum Magischen Realismus erkennbar, der sich als stilgeschichtlichter Begriff in der Regel auf Maler aus dem geistigen Umfeld der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts bezieht.

Wie diese erfasst auch Thomas Bühler die Menschen und Gegenstände seiner Gemälde mit scharfem, nüchternem Blick und bevorzugt glatte Oberflächen, die die persönliche Handschrift des Künstlers tilgen. Und wie die Vertreter des Magischen Realismus bricht auch er gewohnte Wahrnehmungsmuster auf. Er irritiert und verfremdet das Dargestellte, indem er eine eigene, mitunter verspielte Symbolsprache einführt, indem er seinen Figuren eigentümliche Attribute beigibt und sonderbare Verbindungen zwischen seinen Protagonisten und der sie umgebenden Dingwelt schafft.

Für diese Kombination aus realistischer Darstellungsweise und komisch-skurril anmutenden Bildelementen haben Thomas Bühler und weitere Mitglieder der 1993 von ihm mitgegründeten Künstlergruppe Melpomene den synthetischen Begriff des Skurrealismus gefunden.

Die Ausstellung hier im Kunsthaus Oggersheim bietet einen Überblick über Thomas Bühlers künstlerisches Schaffen der letzten 15 Jahre. Sie zeigt in der technischen und gestalterischen Vielfalt der präsentierten Arbeiten den immensen Ideenreichtum des Künstlers und seine große Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten.

Trotz der unterschiedlichen Darstellungsmodi wird immer wieder erkennbar, wie die eigene Lebenswirklichkeit und die persönliche Wahrnehmung des räumlichen und sozialen Umfelds im Werk des Künstlers ihre Spuren hinterlassen haben. Thomas Bühler schildert in seinen Grafiken und Gemälden seine Sichtweise des Lebens, er befragt den Menschen und seine Lebensräume, indem er die Welt verfremdet und gerade so den Blick umso schärfer hinter die Dinge des Seins richtet.

(Barbara Willert)


 


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